Gemächlich tuckert die 1877 erbaute „Lady of the Lake“ mit gut 200 Passagieren über den See Ullswater im englischen Lake District in der Grafschaft Cumbria. Das knapp 34 m lange Ausflugsboot gilt zumindest vor Ort als ältestes, noch aktives Passagierschiff der Welt. Die besonders bei den eigenen Landsleuten beliebte Ferienregion im Nordwesten Englands begeistert durch das Wechselspiel lang gestreckter Seen mit einer sanften Hügellandschaft, deren Spitzen bis knapp 1000 m aufragen.
Insgesamt 16 größere und eine Unmenge kleinerer Seen in diesem Streifen Nordenglands bildeten die letzten Eiszeiten. Die Gletscher höhlten den Talboden aus, dadurch entstand die bei vielen Seen auffallend langgezogene Form eines Bands. Die Namen der meisten Gewässer enden auf „mere“ (Meer) oder „water“ (Wasser). Der kleine Ort Seathwaite gilt als „wettest place in England“ – eigentlich wenig verwunderlich angesichts der Lage kurz hinter der Atlantikküste. Reisende brauchen sich jedoch nicht zwingend auf Regenferien vorbereiten, denn das Klima wechselt häufig genug auf Sonnenschein.
Die 1951 gegründete Nationalparkregion gut 130 km nördlich von Manchester besuchen jährlich 14 Millionen Touristen. Die Landschaft erinnert irgendwie an einen großen blühenden Garten. Angestammter Einwohner ist das europäische Eichhörnchen mit seiner orange-bräunlichen Farbe, das im Lake District einen besonderen Schutz genießt („SOS“ bedeutet hier „save our squirrels“).
Die von Norden nach Süden über 50 km lang gestreckte Region lässt sich in vier Gebiete aufteilen. Im Nordosten liegt zunächst der Ullswater mit dem Helvellyn, dem dritthöchsten Berg Englands. Zentrum des Nordwestens bildet das Städtchen Keswick mit dem benachbarten Castlerigg Stone Circle, optisch eine verkleinerte Version von Stone Henge. Der Westen von „The Lakes“ reicht bis zur Atlantikküste bei Whitehaven. Der Süden umfasst Windermere, den größten natürlichen See Englands, sowie Grasmere im Herzen des Nationalparks.
Wer den vielfältigen Lake District ausführlich kennenlernen möchte, sollte nicht von einer Unterkunft aus sternförmig die Ausflüge planen, sondern aufgrund der doch weiten Entfernungen lieber zwei oder drei Orte für Übernachtungen auswählen. Das Angebot reicht von günstigem Bed & Breakfast (wie „Inn on the Lake“ in Glenridding) über historische Stadthotels (z.B. „The Queens“ in Keswick) bis zu noblen Landsitzen (etwa „Holbeck Ghyll“ bei Windermere).
Der 15 km lange und 1,2 km breite Ullswater erinnert ein wenig an den Vierwaldstättersee in der Zentralschweiz. Für die weit verzweigte Form eines lang gezogenen Z waren drei Gletscher zuständig, deren Gewässer nunmehr in drei verschiedenen Seeabschnitten verbunden sind. Der zweitgrößte See im Lake District begeistert vor allem durch die natürliche Beschaffenheit der aufragenden Hügel am nur spärlich bebauten Ufer. Sehenswert ist der von zwei Steinbrücken umgebene bis zu 20 m tiefe Wasserfall Aira Force. In der Artursage kommt Ullswater als „Dark Lake“ vor.
Die überschaubaren Hauptorte Glenridding und Pooley Bridge an beiden Enden des Sees leben vor allem vom Tourismus. Das war nicht immer so: Die Bedeutung von Glenridding geht auf die im ausgehenden 17. Jhd. gegründeten Bleiminen zurück. Die erfolgreichste und mit 457 m am tiefsten angelegte Greenside Mine wurde 1962 endgültig geschlossen. Die in der Umgebung hergestellten Blei- und Farbstifte sind besonders bei Künstler beliebt, das Cumberland Pencil Museum in Keswick belegt die Bedeutung von Bleiförderung und Stiftproduktion in der Grafschaft Cumbria. Im niedlichen Pooley Bridge fällt besonders die schmale Steinbrücke aus dem 16. Jhd. über den schmalen Fluss Eamont auf.
Auf dem Ullswater wurde übrigens Geschwindigkeitsrekord aufgestellt: Sir Donald Campbell erzielte am 23. Juli 1955 mit seiner raketenbetriebenen Bluebird K7 einen Durchschnitt von 325,6 km/h und war damit knapp 100 km/h schneller als sein Vater zwei Jahrzehnte zuvor. Campbell steigerte sich auf anderen Gewässern um sechs weitere Rekorde, bevor er sich mit seinem Boot 1967 am Coniston Water im Lake District bei 520 km/h überschlug und sank.
Bereits seit 1849 wird der Ullswater regelmäßig befahren, die Gründung der Ullswater Steam Navigation Company als Vorläufer der heutigen Gesellschaft erfolgte bereits 1855. Neben Passagieren transportierten die Schiffe vor allem die Post sowie Waren der Bleimine. Damit war der Ullswater bereits früher als die übrigen Seen nautisch erschlossen.
Die Rundfahrten der Ausflugsschiffe führen von Glenridding nach Pooley Bridge und zurück, eine Strecke dauert etwa 65 Minuten. Empfehlenswert ist ein Zwischenstopp bei Howtown auf der Hälfte des Sees für kleine Erkundungen während der fahrplanbedingten Unterbrechung. Wer den Zauber des ganzen Sees einsaugen möchte, nimmt den Bus von Glenridding nach Pooley Bridge mit Wanderung bis Aira Force und fährt per Dampfer ab Pooley Bridge zurück.
Die mit 43 BRZ vermessene Lady of the Lake gestaltete Douglas Hebson aus dem benachbarten Penrith. Nach der Fertigstellung auf der Werft von Joseph Seath & Co. bei Glasgow wurde sie in drei Stücken mit dem Zug bis kurz vor Pooley Bridge transportiert und vor Ort zusammengefügt. Die Namensfindung ist nicht eindeutig überliefert, vermutlich sollte der Name stolz an die bezaubernde Szenerie erinnern. Die Jungfernfahrt fand am 26. Juni 1877 statt, vermutlich ist sie dadurch das älteste noch aktive Schiff der Welt. Nur wenig jünger ist übrigens die 1879 erbaute MS Sydfart aus Grönhögen in Südschweden.
In ihrem langen Leben sank die Lady gleich dreimal in dem ca. 60 m tiefen See. Zunächst bereits 1881 an ihrem Liegeplatz und 1958 in einem heftigen Orkan. Nach einem großen Feuer 1965 war sie 14 Jahre lang außer Gefecht und wurde erst wieder im Mai 1979 in den Dienst gestellt.
Diverse Umbauten waren notwendig, um die Lady of the Lake den Anforderungen des ansteigenden Tourismus und der sinkenden Bedeutung der Minen anzupassen. Der Salon bestand am Anfang aus zehn Fenstern auf jeder Seite, wurde später beim Einbau einer größeren Brücke zunächst auf zwölf Fenster vergrößert. Anno 1936 wich der Vierzylinder-Dampfantrieb zwei modernen Dieselmotoren mit mächtigerem Schornstein, dadurch erhielt der verkürzte Salon nur noch acht Fenster. Das 1979 aus braunem Holz wieder erbaute Brückenhaus passt farblich besser als die ursprüngliche weiße Bemalung. Zuletzt wurden 2005 die beiden Motoren ausgetauscht.
Die Mehrheit der Passagiere findet unter dem langen Dach im Heck Platz, während der Bug keinen Schutz bei Regen bietet. Der unten gelegene, überwiegend holzgetäfelte Salon bietet kleine Erfrischungen an. Hier sind auch die Toiletten untergebracht, die mit Ausnahme der Lady Wakefield auf allen Schiffen aufgrund des historischen Aufbaus nicht behindertengerecht ausgeführt wurden.
Die Flotte verfügt mit der etwas längeren Raven über ein weiteres Schiff aus dem 19. Jhd. Kein geringerer als Thomas Cook war die treibende Kraft hinter der Anschaffung der Raven anno 1889, da seine Touristen nach dem ersten Sinken der Lady of the Lake praktisch auf dem Trockenen saßen. Erst im vergangenen Jahrzehnt wurden die beiden Oldtimer durch die drei kleineren Schiffe Lady Wakefield (1949), Lady Dorothy (1967) und zuletzt Western Belle (1935) ergänzt, die vorher in anderen Gebieten aktiv waren. Auffallend ist die Farbgebung der gesamten Flotte mit hellgrünem Rumpf und roten Schornsteinen wie Cunards RMS Caronia von 1947.
Die beiden großen Dampfer verfügen grundsätzlich über eine ähnliche Ausstattung und lassen sich trotzdem gut von der Ferne unterscheiden: bei der Lady of the Lake ist das gewölbte, leicht abgeschrägte Sonnendach hinten angebracht, bei der etwas längeren Raven in der Mitte zwischen Steuerhaus und Schornstein. Wer bei der Rundfahrt in Howtown aussteigt, kann mit etwas Glück die Teilstrecken mit beiden befahren. Der Online-Fahrplan zur Vorausplanung gibt leider keine Auskunft über das jeweilige Schiff, dies hängt vom zu erwarteten Fahrgastaufkommen ab. Hier sollte man auf englische Feiertage und Ferien aufpassen, denn übervoll verliert die Fahrt etwas an ihrem Reiz.
Die acht Kapitäne der Flotte sind auf jedem Schiff trainiert, unterstützt auf jeder Fahrt von zwei weiteren Crewmitgliedern. Die Skipper haben sich teilweise von ganz unten hochgearbeitet. Graeme Connacher etwa heuerte als Aussteiger aus London bei den Ullswater Steamers an und fährt nach zwei Jahrzehnten bei derselben Reederei heute als Captain. Das gilt auch für Christian Grammer aus Manchester, der in ruhigen Zeiten auch bei der Instandsetzung Hand anlegt und inzwischen ebenso als Operations Manager tätig ist. Zu den langjährigen Kapitänen gehört ferner Robert Farrah, der einen Preis für seinen Spezialreiseführer „A Guide to the Stone Circles of Cumbria“ erhielt. A propos: VisitEngland verlieh der Ullswater Steamer Company in diesem Jahr den Silver Award für Kundenservice sowie eine Auszeichnung in der Kategorie nachhaltiger Tourismus.
Neben klassischen Ausflügen entlang des Sees oder der Tageskarte „Round the Lake Pass“ für ca. 13 Pfund mit Hop-on/Hop-off-Möglichkeit bietet die Reederei ebenso Themenfahrten von „Fish & Chip Cruises“ bis zu Fahrten auf den Fußstapfen der berühmten Dichter des Lake Districts. Eine Handvoll Events, etwa anlässlich Diamond Jubilee der Queen oder Halloween, runden das Jahresprogramm ab. Inzwischen befördert die Reederei jährlich mehr als 300.000 Reisende auf dem Ullswater, überwiegend Wanderer und Familien.
Der Ullswater wird nicht nur von den historischen Dampfern befahren, auch Segeljachten, Ruderboote und Wasserski sorgen für einen hohen Freizeitwert. Eine halbtägige Wanderung ab Glenridding führt auf den 950 m hohen Helvellyn, der Aufstieg wird mit einer prächtigen Aussicht vom Gipfelplateau aus belohnt. Wanderer finden mehrere Wege auf den Berg, Kletterer wählen die felsige Ostseite entlang der „Striding Edge“.
Weitere Orte und Seen sind ein Muss bei einem Besuch im Lake District. Als touristisches Zentrum im Zentrum des Nationalparks gilt Grasmere am kleinen gleichnamigen See mit seinen pittoresken Häusern. Deren Fassaden wurden ebenso wie das Mauerwerk zwischen den Feldern der Umgebung überwiegend aus anthrazitfarbenen Schieferplatten erstellt. Hiesige Spezialität sind Lebkuchen, die in einer kleinen Manufaktur im Church Cottage hergestellt und verpackt wie vor hundert Jahren verkauft werden.
Der romantische Dichter William Wordworth (1770-1850) lebte lange Zeit im Dove Cottage bei Grasmere und fand auf einer Wanderung entlang des Ullswater etwa bei Aira Force die Inspiration zu seinem berühmten Gedicht „Daffodils“ („Osterglocken“). Später wohnte er bis zu seinem Tode im romantischen, von einer bezaubernden Gartenanlage umgebenen Anwesen Rydal Mount zwischen Grasmere und Ambleside. Über den Ullswater schrieb er einst: “It is the happiest combination of beauty and grandeur, which any of the lakes affords”.
Einen Besuch lohnt auch der größte See Englands, der 17 km lange Windermere. Der gleichnamige Ort liegt etwa einen Kilometer abseits des Sees. Einen Schub nahm die Entwicklung des Tourismus durch die Eröffnung der Eisenbahnlinie von Kendal nach Windermere in der Mitte des 19. Jhd. Direkt am See liegt das zentrale Bowness-on-Windermere mit niedlichen Fachwerkhäuschen und einer Flotte von Ausflugsschiffen, die jedoch nicht an die Grandeur der Ullswater Steamer heranreichen. Sehenswert ist ferner das Städtchen Ambleside am Nordufer des Sees. Von Lakeside im Süden des Sees verkehrt eine historische Eisenbahn mit Dampflokomotiven. Nur ein paar Meilen weiter Richtung Küste folgt das viktorianische Schloss „Holker Hall“ mit englischem Park, einem exotischen Rosarium und präzise angelegtem Garten.
In Bowness setzt eine Fähre auf die andere Seite über; nach ein paar Meilen folgt bei Sawrey die Hill Top Farm, der einstige Wohnort von Beatrix Potter (1866-1943), eine der bekanntesten Kinderbuchautorinnen Englands. Den Protagonisten ihrer selbst illustrierten Märchen wie „The Tale of Peter Rabbit“ begegnet man in den Souvenirgeschäften der ganzen Region auf Schritt und Tritt. Ihre Lebensgeschichte wurde im Film „Miss Potter“ mit Renée Zellweger in der Hauptrolle im Jahre 2006 an Ort und Stelle verfilmt – ein wunderbarer Einstieg in die erholsame Welt des Lake Districts.