Was liegt näher für das 60. Jubiläum der Opera Australia als die Darstellung eines vor genau 60 Jahren uraufgeführten Werks mit Mitwirkenden von damals in originalgetreuer Umsetzung? Die Wahl fiel auf Lerner und Loewes ‚My Fair Lady‘ in der Regie von Dame Julie Andrews, die ursprüngliche Eliza Doolittle aus der Welturaufführung am Broadway von 1956.
Während das Musical weltweit in einem breiten Spagat von klassisch bis modern und nicht immer im Einverständnis mit der werktreuen Erwartung der Zuschauer aufgeführt wird, war die DNA der Originalproduktion an jeder Stelle spürbar. Statt alles bloß exakt zu kopieren, wurden auch die ursprünglichen Entwürfe der damaligen Schöpfer zu Rate gezogen.
Die szenische Supervisorin Rosaria Sinisi arbeite jahrelang mit dem ursprünglichen Bühnenbildner Oliver Smith zusammen und erhielt nach dessen Tod den Fundus ebenso wie dessen Entwürfe. So entstand ein originalgetreues Bühnenbild mit viel Tiefe und gleichermaßen arrangierter Doppeldrehbühne. Diese ermöglichte rasche Szenenwechsel zwischen Higgins‘ aufwändig eingerichteter Wohnung mit dessen Bibliothek und optischen Täuschungen in der Perspektive, den historischen Hausfassaden vom Blumenmarkt sowie den Ball- und Ascot-Szenen.
Geschickt wurden Bühnenelemente mit gemalten Landschaften verknüpft, die das London aus dem Handlungszeitraum um 1912 einfangen. Die Ballszene entsprach weitgehend der Vorlage im Gedanken an das Foyer eines vornehmen Palasts mit großen Kronleuchtern, einer geschwungenen Treppe für die Neuankömmlinge und einer Säulenlandschaft, in der das adrett gekleidete Ensemble die gesittete Oberschicht zeigt – welch‘ ein Kontrast zum zuvor gezeigten, ausgelassenen Volk am Covent Garden, wobei deren vergleichsweise Armut optisch noch deutlicher dargestellt sein könnte.
Eine auffallende Abweichung war beim Ausflug nach Ascot zu sehen, als ein fahrbereiter dunkelblauer Oldtimer die Szenerie ergänzte. Ursprünglich war ein Auto bereits eingeplant, denn 1912 war das erste Jahr, in dem Automobile erstmals vorfahren durften und Parkplätze eingerichtet wurden; in der Tat war es ab genau dem Jahr „en vogue“, mit dem eigenen Chauffeur ein Picknick vor dem Besuch des Pferderennens abzuhalten.
Während dies in den ersten Jahrzehnten auf der Bühne technisch nie umgesetzt werden konnte, erzielte Julie Andrews mit dem Fahrzeug ein überraschendes Highlight der Jubiläumsproduktion. In ihrer mit viel Verantwortung gegenüber dem Werk ausgeübten Regie vermochte Andrews die Begeisterung ihrer ersten Jahre in ‚My Fair Lady‘ auf die jüngeren Generationen anzuwenden und den ursprünglichen „vibe“ wieder aufleben zu lassen.
Auf Basis der ursprünglich von Cecil Beaton entworfenen Kostüme wiederholte dessen langjähriger Assistent John David Ridge die aufwändige Formensprache der zum Stück passenden Kleidung. Neben der glamourösen Aufmachung von Elizas Kleidern steckte Cecils Kenntnis von den historischen Epochen hinter den Entscheidungen der Farb- und Schnittwahl.
Nicht unüblich wird auf der ganzen Welt die Ascot-Szene in schwarz und weiß gekleidet, um die Abwesenheit von Farbe und menschlicher Wärme zu illustrieren. Tatsächlich ging es jedoch auf die damals vorherrschenden Trauerfarben nach dem Tode von Eduard VII. zwei Jahre vor dem Handlungszeitrahmen zurück. Das normale Volk trug damals zu diesem Anlass violett, entsprechend begann Eliza in lavendelfarbiger Kleidung.
Diese optische hochrangige Produktion bietet neben dem optischen Genuss einen Cast der Sonderklasse. Galt Julie Andrews bereits in der Uraufführung als aufstrebende Darstellerin mit entsprechendem Erfolgsausweis, trifft dies auch für die australische Sopranistin Anna O’Byrne als Eliza Doolittle zu, die in England von Andrew Lloyd Webber für die Rolle der Christine in „Love Never Dies“ ausgewählt wurde und später ebenfalls in „Phantom of The Opera“ sang. Sie spielte eine zunächst schnoddrige, giftige Eliza mit operesken Glanzmomenten wie in „I Could Have Danced All Night“ mit spürbarer Verwandlung und gefiel sowohl sprachlich als auch in ihrem Spiel.
Als Professor Higgins brillierte der englische Charakterdarsteller Alex Jennings, der sich in seiner Heimat am Royal National Theater und in der Royal Shakespeare seinen Ruf erwarb und in Filmen neben Maggie Smith auftrat. Seinen Higgins gab er von sich völlig überzeugt, im Sprechgesang sehr verständlich und angenehm gesungen, etwa in „A Hymn To Him“.
Der in Australien auch durch seine eigenen Theaterprogramme bekannte Reg Livermoore avancierte in seiner rüstigen Interpretation des Alfred P. Doolittle zum Publikumsliebling. Ihm gelang der Spagat zwischen dem besorgten und durchaus geachteten Vater der Unterschicht und dem Spaßvogel mit seinen Saufkumpanen. Sein sprachliches Können bewies der für sein Lebenswerk mehrfach ausgezeichnete Sänger vor acht Jahren bereits als Higgins im Sydney Opera House.
Als Mrs. Higgins sorgte die gerne als „First Lady of the Australian Theatre“ bezeichnete Robyn Nevin für eine vornehme Vertretung der gehobenen Klasse. Als Regisseurin förderte sie einst die noch junge Cate Blanchett. Mark Vincent spielte einen reiferen Freddy Eynsford-Hill im Vergleich zu europäischen Theatern und gefiel dabei durch seinen klaren Tenor von Format, mit dem er regelmäßig die klassischen Charts anführt. Der Engländer Tony Llewellyn-Jones verkörperte Higgins‘ Sparringpartner Colonel Pickering rollendeckend, während die australische Sängerin Deidre Rubenstein eine passend resolute Mrs. Pearce gab.
Nicht nur das Stück selbst sorgte für den Ruf als eines der erfolgreichsten Musicals der Welt, es war vor allem auch die originale Inszenierung und facettenreiche Darstellung, die den Siegeszug des 2717mal aufgeführten Werks von New York aus eingeleitet hatte. Melbourne erlebte „My Fair Lady“ bereits kurz nach der Londoner Premiere.
Die in Sydney mit einem 32köpfigen Orchester unter der Leitung von Guy Simpson bis Anfang November aufgeführte Jubiläumsproduktion zieht im März nach Brisbane und siedelt ab Mitte Mai für fast drei Monate im Regent Theatre in Melbourne mit dem aus ‚Downton Abbey‘ bekannten Engländer Charles Edwards als Professor Higgins.
Veröffentlicht in Der neue Merker (Wien), Ausgabe 319, November 2016, Seite 100